Die Franzi-Story (6)

Eine spannende Geschichte in 7 Teilen

Ich bin wieder dran

Wieder kam es zunächst anders als geplant. Wie die nacholympische Saison 1997, so musste auch die nacholympische Saison 2001 vorzeitig abgebrochen werden. 1997 war es ein Motoradunfall, 2001 ein Bandscheibenvorfall. Statt in der Schwimmhalle verbrachte Franziska Monate in Arztpraxen und Reha-Zentren. 1997 waren die Europameisterschaften in Sevilla ins Wasser gefallen, 2001 waren es die Weltmeisterschaften im japanischen Fukuoka.

Im Sommer 2001 war Franziskas Rücken glücklicherweise ohne Operation so weit wiederhergestellt, dass sie wieder voll ins Training einsteigen konnte. Statt des bisherigen Einzeltrainings entschied sie sich für das Training in einer Gruppe unter Leitung ihres allerersten Trainers Norbert Warnatzsch. Der neue Trainer und die außer ihr nur aus Männern bestehende Trainingsgruppe sorgten für frischen Wind und führten sie Schritt für Schritt wieder an die Form der ersten Jahre ihrer großen Karriere heran. Bei den Deutschen Kurzbahn-Meisterschaften in Rostock im November 2001 konnte sie die ersten Früchte ernten. Persönliche Bestzeit über 100m Schmetterling und die beste Zeit seit Jahren auf ihrer Lieblingsstrecke 200m Freistil ließen viele Skeptiker verstummen. Resümee von Cheftrainer Ralf Beckmann: „Es scheint sich zu bestätigen, dass sie wirklich die Freude am Schwimmen zurückgewonnen hat.“ Die weiteren Stationen der Wintersaison 2001/02 bestätigten die aufsteigende Tendenz.

Im Mai 2002 wurde es dann ernst: Deutsche Meisterschaften in Warendorf, Qualifikation für die Europameisterschaften 2002 in Franziskas Heimatstadt Berlin. Wer immer noch an Franziskas Entschlossenheit gezweifelt hatte, wieder in die Weltspitze vorzustoßen, wurde spätestens hier eines Besseren belehrt: drei Siege, drei EM-Tickets, und über 200m Freistil mit 1:57,74 nicht nur Jahresweltbestzeit, sondern auch die drittschnellste Zeit ihrer Karriere. „Ich hatte das Gefühl, ich sei wieder dran“, sagte sie nach dem ersten Sieg in Warendorf. Beim EM-Heimspiel (25. Juli bis 4. August 2002) konnte sie es beweisen.

Europameisterschaften in Berlin! Den Anfang machte, wie in Sydney, die 4x100m-Staffel. Aber anders als bei den Olympischen Spielen, wo das enttäuschende Abschneiden dieser Staffel den Auftakt für ein regelrechtes Debakel für den DSV bildete, passte diesmal von Anfang an alles zusammen. Die Stimmung in der Mannschaft unter der Leitung von Ralf Beckmann war von gegenseitigem Respekt und starkem Wir-Gefühl geprägt, und auch die Ergebnisse stimmten. Die Auftakt-Staffel holte diesmal nicht Blech, sondern Gold, und das sogar in Weltrekordzeit (3:36,00). Damit war der Knoten geplatzt, nicht nur bei Franziska, sondern bei der ganzen Mannschaft. Auch die 4x200m-Staffel holte erwartungsgemäß den Titel, für Franziska war es Gold Nummer zwei. Die nächste Station war der Einzelstart über 100m Freistil. Hier startete Franziska keineswegs in der Favoritenrolle, aber in diesen Tagen von Berlin sollte ihr einfach alles gelingen. Sie gewann ihre dritte Goldmedaille und stellte mit 54,39 den deutschen Rekord ein.

Wer Franziskas Karriere verfolgt hat, weiß, dass es nur eine Strecke gibt, an der ihr ganzes Herz hängt: 200m Freistil. Auf ihrer Weltrekordstrecke hat sie ihre größten Erfolge, aber auch ihre bittersten Niederlagen erlebt. Am entscheidenden Tag fühlte sie sich ausgesprochen schlecht und hätte sich am liebsten davongestohlen. Als dann ihr Name über die Lautsprecher ertönte, tobte die Halle, aber auf den wenigen Schritten zum Startblock tauchte sie in eine andere Welt ein. Die Zuschauer, die Konkurrentinnen - sie nahm sie nicht mehr wahr. Hochkonzentriert sprang sie ins Wasser und wusste von Anfang an: es wird gut! Sie ging das Rennen sehr schnell an, schwamm sofort auf Weltrekordkurs und rettete den Vorsprung vor der eigenen Bestmarke bis ins Ziel: 1:56,64. Weltrekord. Als die Zeit auf der Anzeigetafel erschien, verwandelte sich die Schwimmhalle in einen Hexenkessel. Franziska schlug die Hände vors Gesicht, dann auf das Wasser, stieg aus dem Becken, kniete erschöpft auf dem Boden und vergoss die ersten Freudentränen. Sieben schwere Jahre fielen wohl in diesem Moment von ihr ab. Sie hatte es geschafft, hatte sich selbst bezwungen und alle Skeptiker Lügen gestraft. Ihre eigene Ergriffenheit erfasste die Fans und Bewunderer in der Halle - bei der Siegerehrung blieb kaum ein Auge trocken.

Die 200m Freistil waren für Franziska zwar der Höhepunkt der EM, aber noch nicht das Ende - und auch noch nicht das letzte Gold. Auch die abschließende Lagenstaffel holte den Titel und verbesserte Franziskas persönliche Bilanz auf 5 Goldmedaillen in 5 Rennen, davon zwei Weltrekorde.

Franziskas sensationelles Comeback wurde vielfach gewürdigt. Zum zweiten Mal seit 1992 erhielt sie einen "Bambi", außerdem gewann sie den Publikums-Medienpreis "Goldene Henne". Das US-Magazin "Swimming World" wählte sie zu Europas Schwimmerin des Jahres. Auch die Zeitschrift MAXIM kürte sie zur Schwimmerin des Jahres. Deutschlands Sportjournalisten wählten sie zum dritten Mal zur Sportlerin des Jahres in Deutschland. Zu guter Letzt wurde sie bei den berühmten Laureus Awards, die auch als "Sport-Oscar" bezeichnet werden, in der Kategorie "Comeback des Jahres" nominiert.

Nach der EM folgte die traditionelle Auszeit, in der Franziska die Weichen für die Zukunft stellen wollte. Weiterschwimmen war nicht selbstverständlich, es musste neu überlegt werden. Viele ermutigten sie in diesen Tagen zum Weitermachen bis Olympia 2004 in Athen, aber auf äußere Stimmen durfte sie nicht hören, nur auf die inneren. Was war stärker, die Zufriedenheit mit dem Erreichten, das sportlich kaum noch zu überbieten war, oder der Wunsch, den Traum vom nie gelungenen Olympiasieg doch noch wahr zu machen? Sie kam zu der Erkenntnis, dass der Kreis noch nicht geschlossen war, sie wollte noch einen Versuch wagen. Im September 2002 gab sie bekannt, Olympia 2004 in Athen als letztes sportliches Ziel in Angriff zu nehmen.

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